Plastikfrei leben: Megatrend oder Illusion?
Sustainability, Worldwide, Lifestyle
Im Schatten der Schlagzeilen zur globalen Klimadebatte breitet sich ein Umweltproblem aus, dessen Ausmass unser globales Ökosystem nicht nur gefährdet, sondern die Naturwunder unserer Erde wortwörtlich zu ersticken droht: Die Menschheit hängt am Plastiktropf und ist im Begriff daran zugrunde zu gehen. Wie gross das Problem wirklich ist und wieso wir mehr Menschen brauchen, die versuchen möglichst plastikfrei zu Leben.
500 Millionen Tonnen und kein Ende in Sicht
Weltweit wurden 2015 über 450 Millionen Tonnen Plastik produziert. Während ein Teil dieser Produkte das tägliche Leben erleichtert, verbessert und in der Medizinaltechnik sogar rettet, macht vor allem eine Zahl zu schaffen: Rund 160 Millionen Tonnen der produzierten Menge haben ein Halbwertszeit von nicht einmal sechs Monaten. Den Löwenanteil machen herkömmliche Plastikverpackungen aus. Diese sind für über die Hälfte des jährlichen Plastikmülls verantwortlich und werden kaum fachgerecht entsorgt. Fehlendes Recyclingbewusstsein und die ungenügende Entsorgung von Plastikabfall sind das dominierende Problem der Plastikindustrie. Bedenkt man, dass Schätzungen zufolge rund 50% dieser Verschmutzung durch Plastikabfall in folgenden 5 Ländern erfolgt, so akzentuiert sich das Problem rund um Chinas Einflusssphäre: China, Indonesien, die Phillippinen, Vietnam und Sri Lanka sind die primären Sündenböcke. China ist heute der weltweit grösste Plastikproduzent. Epizentrum des Plastikwahnsinns ist die ostchinesische Handelsstadt Yiwu. Auf dem weltgrössten Grosshandelsmarkt für Plastikware drängen sich hier über 70’000 Shops, welche alle erdenklichen Plastikfabrikate zum Verkauf feilbieten.
- Mehr zum Thema?
National Geographic hat in einem herausragenden Bericht die alles entscheidende Frage nach «planet or plastic» gestellt.
- Plastikatlas 2019
Daten und Fakten über eine Welt voller Kunststoff: Ein Projekt der Heinrich Böll Stiftung sowie Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Die Lösung liegt auf der Hand
Diese Kurzanalyse zeigt, dem Plastik-Problem wäre eigentlich mit einfachen Massnahmen Herr zu werden: Investitionen in eine effiziente Müllabfuhr sowie moderne Recycling-Anlagen in der dritten Welt und gleichzeitige Eindämmung der Produktion von Plastikware. In Zeiten wo Investitionen in digitale Geschäftsmodelle wesentlich lukrativer sind und Plastik den billigen Rohstoff darstellt, welcher der dritten Welt neue Möglichkeiten eröffnet, sind diese Lösungsansätze jedoch in der Praxis kaum zu verfolgen. Daher ist es umso wichtiger, dass auch der kleine Mittelstand-Haushalt in der westlichen Welt mit gutem Beispiel vorangeht. Dass «plastikfrei» keine Illusion ist und wir alle unseren Teil beitragen können, erklärt uns mit Vilja-Veera Locicero eine Pionierin auf diesem Gebiet.
Plastikfrei hat nichts mit „«Ökofreak» zu tun
Aufgewachsen in der Schweiz, lebt die 32-jährige mittlerweile mit ihrem Mann in Toronto, Kanada. Inspiriert für einen plastikfreien Lebensstil wurde sie primär von ihren Eltern, welche schon früh den bewussten Umgang mit natürlichen Ressourcen thematisierten. Als Pionieren hervorgetan und ihr Leben selbst aktiv plastikfrei gestaltet hat sie jedoch erst mit der Einrichtung des gemeinsamen Hauses in Toronto.
Welche Gegenstände sind in deinem Haushalt plastikfrei (und bei anderen meist nicht)?
Da fallen mir spontan folgende Gegenstände ein: Zahnbürste, Rasierhobel, Shampooflasche (nachfüllbare Glasflasche), Abwaschbürste, Bienenwachstücher (anstelle von Klarsichtfolie).
Wie nimmt dein Umfeld deinen Lebensstil wahr und wo findest du Mitstreiter?
Ich bin erstaunt wie begeistert die Leute in meinem Umfeld sind. Alle wollen mehr darüber erfahren und sind offen, Änderungen in ihrem Konsumverhalten zu machen. Zudem habe ich durch Instagram und lokale Zero-Waste-Events auch viele andere Mitstreiter kennengelernt.
Wie beurteilst du die Sensibilität gegenüber Plastikmüll in Kanada im Vergleich zur Schweiz?
In Kanada ist der Lebensstil viel amerikanischer. Was ich damit meine ist, dass die Leute immer schneller mehr konsumieren wollen. Dabei vergessen Sie, was ihr Konsumverhalten für ökologische Konsequenzen mit sich zieht.
In der Schweiz hingegen habe ich das Gefühl, dass die Leute kritischer denken und mehr Qualität verlangen. Andererseits gibt es hier (gerade in Grossstädten wie Toronto) viel mehr Möglichkeiten plastikfrei einzukaufen als in der Schweiz. Ich beobachte, dass auch vermehrt grosse Lebensmittelketten mitmachen. Ein gutes Beispiel sind Bio Gemüse und Früchte: In der Schweiz sehe ich Bio Gemüse meist in Plastik verpackt, wohingegen es in Kanada unverpackt im Regal liegt.
Wichtig scheint mir, dass das Thema aktuell eine breite Berichterstattung durch die Medien erfährt. Hier ist zu hoffen, dass dies ein langanhaltender Trend und nicht bloss ein kurzweiliger Hype darstellt.
Wo können wir Normalbürger starten, um unseren Umgang mit Plastik zu verbessern?
Meist schon bei kleinsten Alltagsentscheidungen, wie dem Mitbringen einer eigenen Tragtasche zum Einkaufen oder dem Gebrauch einer wieder verwendbaren Glas- oder Edelstahlflasche anstelle von Plastikflaschen. Auch bei den Küchenutensilien kann man relativ einfach auf Plastik verzichten und dieses mit Holz oder Edelstahl ersetzen. Zudem sind Bienenwachstücher eine gute Alternative zu Klarsichtfolie. Bei Hygieneprodukten kann man sich auf unverpackte Seifen beschränken und Fortgeschrittene können Waschmittel selbst herstellen. Schlussendlich sollte man darauf achten, Kleider aus Naturmaterialien anstelle von Kunststoff zu kaufen. Auch diese Formen von Plastik landen durch den Waschgang als Mikroplastikteilchen in unseren Gewässern.
Sind es ausschliesslich Grüne die plastikfrei leben?
Die Thematik handelt primär von schonendem und bewusstem Umgang mit Ressourcen, daher ist eine Schubladisierung in jegliche Kategorie falsch. Ressourcenbewusstes Leben ist keine Frage politischer oder sonstiger Gesinnung.
Was sind die weltweit grössten negativen Auswirkungen von Plastik?
Fast aller Plastikmüll landet letztendlich in unseren Gewässern und schadet dort Millionen von Tieren und Pflanzen. Problematisch ist vor allem der Mikroplastik, welchen viele Tiere mit Nahrung verwechseln. In diesem Kreislauf können die Mikroplastikteilchen dann auch wieder in unserem Körper landen.
Du versuchst im Kleinen Vieles zu bewegen. Wo siehst du die globalen Chancen zur Verbesserung der Situation?
Grundsätzliche Gesetze und die Preise müssten angepasst werden, um echte Incentives für plastikfreie Verhaltensweisen zu schaffen. Zudem wäre es wünschenswert, dass der schonende Umgang mit Ressourcen weltweit und auf sämtlichen Bildungsstufen entsprechend thematisiert wird.
Jeder hat die Macht durch sein eigenes, bewusstes Konsumverhalten etwas zu bewegen. Dabei kann er auch seine Mitmenschen zu bewusstem Umgang mit Ressourcen motivieren!
Das meint UP. Magazine
Plastik ist kein Schwerverbrecher, der Mensch und sein Umgang damit verursachen jedoch ein ökologisches Fiasko. Die westliche Welt braucht daher ein radikales Umdenken im globalen Umgang mit der Ressource Plastik. Genau dieses Umdenken beginnt bei jedem Einzelnen von uns.